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//-->Richard SkowronnekAm Spirdingsee12Auf dem Außenrande des Grenzgrabens saß ein junges Mädchen in schmuckloserAlltagskleidung.Sie hatte die Hände über den Knien ineinander verschlungen und starrte trüben Auges in dieDämmerung hinaus, die allgemach über den weiten Wassern des Spirdings hernieder sank.Hinter ihr, in dem trockenen Graben gegen spähende Blicke gedeckt, lag ein Mann vonfremdartigem Aussehen. Blond gelocktes Haupt- und Barthaar, das nie ein Scheermesserberührt, umrahmte ihm das offene, sonnengebräunte Antlitz, seine Brust umschloß eineärmellose Weste aus großgeblümtem Kattun, mit zwei Reihen glänzender Messingknöpfedicht besetzt. Die breiten Beinkleider steckten in weichen Kniestiefeln, den Kopf bedeckte einaus gespaltenen Wurzeln kunstvoll geflochtener Hut. Es war die Tracht der kleinrussischenBauern, an der die Philipponen, jene fremdartigen Siedler im Herzen des Masurenlandes,ebenso zähe festhalten, wie an ihren angestammten Sitten und dem mit Märtyrerblutbesiegelten Bekenntnis.-„Es nützt uns doch Alles nichts, Ulas,“ begann jetzt das Mädchen mit müder Stimme, in dieverhaltenes Schluchzen hineinklang. „Drum geh mir nicht mehr nach, Geliebter, und laß abvon mir. Unsere Wege führen aus dieser Welt nicht zusammen.“„Du hast kein Zutrauen zu mir“, fuhr der junge Philippone auf, „sonst könntest du nicht so zumir sprechen, Malka!“„Kein Zutrauen zu dir? O du Lieber! Aber sieh, wenn wir alles gegeneinander abwägen,woher willst du noch die Hoffnung nehmen? Wir sind arm, des Arscheny Vater ist Schulz inEurem Dorfe und der Patriarch seines Vaters Bruder, - was willst du also gegen ihnausrichten? Und so wirst du die Slonia heiraten, und ich werde allein sein und verlassen.Drum ist es besser, du läßt mich gleich und fügst dich, ehe sie dir Gewalt antun.“„Nun, dann hör’ auch du, Malka, mein Augenstern, was ich dir zum letzten Male sage. DieSlonia, das Fräulein“ - er spie verächtlich aus - „die der Arscheny als seine Wirtin“ - er spiewieder aus - „in der Welt herumgeschleppt hat, bis sie sich in ihrem Zustande nicht mehrsehen lassen kann, die nehme ich nicht. Eher soll mich - doch ich will nicht fluchen meinTäubchen,“ beschwichtigte er, als er merkte, daß Malka ihm ihre Hand entziehen wollte, dieer in seiner schwieligen Rechten hielt. „Sieh, mein goldenes Liebchen, noch zwei Fahrtenmache ich mit dem Holzfloß auf dem See, dann gehe ich auf Brettschneiderarbeit bis in diedeutsche Gegend hinter Lyck. Und zum Herbst habe ich so viel beisammen, daß ich dich indas Nestchen holen kann, das ich dir gebaut.“„Wenn sie dich bis dahin nicht beiseite geschafft haben, wie damals den armen Maxim,“ warfdas Mädchen seufzend ein.Ulas wies lachend seine weißen Zähne: „Ich habe keine Angst davor! Aber jetzt frage ichdich: „Willst du mir treu sein und auf mich warten?“ Malka richtete ihre großen braunenAugen auf den Geliebten und schmiegte sich an ihn:3„Wenn du im Herbste wiederkommst, wirst du mich finden.“Ausjauchzend warf der junge Bursche den Hut in die Luft und schlang seine Arme um denschlanken Leib seiner Liebsten. Einen Augenblick lang preßte sie heiß ihre Lippen aus seinenMund, dann entwand sie sich ihm und eilte flüchtigen Fußes davon.Ulas Jawor war, so zu sagen, aus der Art geschlagen. Früh verwaist, war er vater- undmutterlos in der Philipponengemeinde aufgewachsen, hatte bei den Bauern die Schweinegehütet und in dem königlichen Forst Holz gestohlen, just wie die Anderen auch. Eines Tageswar er jedoch dem Schulmeister des Nachbardorfes Weissuhnen in die Hände gefallen, undder alte Sonderling, der in dem kleinen Fischerdorfe ein wunderliches Junggesellenlebenführte, hatte an dem aufgeweckten und hübschen Burschen Gefallen gefunden. Er nahm ihnzu sich und lehrte ihn, was er selbst wußte. Viel war es gerade nicht, aber es genügte, um Ulasdie Anschauung beizubringen, daß der Mensch nicht erst beim Philipponen anfange, wie er eszu Hause vom Patriarchen in der Kirche gehört hatte, der alle Andersgläubigen kurzer Handfür unreine Schweine erklärte. So war er denn nach dein Tode seines Wohltäters nicht wiedernach Onufrigowen, der Siedelstätte seiner Glaubensgenossen, zurückgekehrt, sondern hatte inder weiten Welt sein Glück versucht, erst als Brettschneider und schließlich als Arbeiter ander neuen Eisenbahn, der ersten, die in Masuren gebaut wurde.Schließlich, als er sich ein kleines Sümmchen erspart, hatte es ihn wieder nach der Heimatgezogen. Er hatte sich davon überzeugen müssen, ob seine Jugendgespielin, die braunäugigeMalka, noch ledig sei. Sie war’s noch, und so kam es, daß er sich als Flößer verdingte undnun von einem Ende des großen Spirdingsees zum andern fuhr. Eines Tages hatte er von demPatriarchen in Onufrigowen die Weisung erhalten, sich für den ersten Osterfeier- tag in derGemeinde zu stellen, da es an der Zeit sei, daß das heilige Sakrament der Wiedertaufe an ihmvollzogen werde. Widerwillig war er dem Rufe gefolgt und hatte widerwillig mit denJünglingen seines Jahrganges die Zeremonie über sich ergehen lassen. Als er sich dann stillentfernen wollte, hatte ihn der Patriarch bei Seite genommen und ihm eröffnet, daß seinunstetes Vagabundenleben fern von der Gemeinde der Stammesgenossen ein Ende habenmüsse. Deshalb sei im Verein mit den Ältesten beschlossen, ihn zu verheiraten und ihm dazudie Slonia ausgesucht worden, des reichen Arscheny Wirtin, die sich ein paar hundert Talererspart hätte und außerdem von ihrem Vater schon einige Morgen Ackerland mit einemkleinen Häuschen besäße. Ulas hatte geantwortet, er bäte um Zeit, um sich den Vorschlag zuüberlegen, war dann fortgestürmt und hatte sich von dem Tage an in dem Heimatdorfe nichtmehr blicken lassen. Die geheimnisvollen Mahnungen, die er von Zeit zu Zeit erhielt, schluger in den Wind, obwohl sie immer drohender wurden. Und nun, wo er mit MalkasTreueversprechen hinauszog in die weite Welt, verlachte er sie erst recht.Langsam schlenderte er am Seeufer entlang dem Dorfe zu, in welchem sein Liebchen beimKrugwirte als Magd diente. Sonst pflegte er nicht hinter der Flasche zu sitzen, aber heutedrängte es ihn, mit Menschen zusammen zu sein. Vielleicht, daß es ihm auch noch glückte, imVorbeigehen einen Blick, ein flüchtiges Wort mit Malka zu tauschen.Auf den Flößen, die dicht nebeneinander gedrängt fast die ganze Bucht des Sees füllten,brannten lustig flackernde Kienfeuer. Über den Flammen hing der brodelnde Kessel, in demdas Abendessen kochte; malerische Gestalten lagen in zerlumpte Decken gewickelt um dieFeuer und lauschten den Klängen der Ziehharmonika, während die große Schnapsflasche voneinem zum andern ging.4Als Ulas neben seinem Flosse vorüberkam, das dicht am Lande lag, hörte er seinen Namennennen.An der Stimme erkannte er Saschul Schlachta, einen baumlangen, dunkelbärtigenPhilipponen, der weit und breit in den Seedörfern seiner Rohheit und Rauflust wegenberüchtigt war. Eiskalt überlief es ihn: das war die letzte Mahnung des Patriarchen.Im ersten Augenblick dachte er daran, sich durch einen schnellen Sprung auf das Floß undvon dort auf den kleinen Schleppdampfer zu retten, dessen rote Signallaterne durch dasdunkel herüberleuchtete, doch ein Geräusch zu seiner Linken belehrte ihn, daß dieser Wegschon verstellt sei. Er faßte sich, so gut es ging, und fragte möglichst gleichgültig:„Ach Saschul, du? Was bringst du mir Neues?“ Damit setzte er sich ins Gras und begrüßteebenso ruhig den Begleiter Saschuls, Dmitri Erzum, der diesem an Bösartigkeit nichtsnachgab. Es entstand eine bange, gewitterschwüle Pause, die Ulas durch das Stopfen seinerkurzen Pfeife auszufüllen suchte. Als er aber nach dem Feuerzeuge griff, faßte Saschul mitseiner Bärentatze seinen Arm, zugleich fühlte er im Rücken eine sonderbare kalte Berührung.„Vor allem mach deinen Mund nicht zum Schreien auf, sonst ist dieser Augenblick deinletzter,“ raunte ihm Saschul zu. „Sei vernünftig und gehorche!“„Was wollt ihr von mir?“„Du kommst jetzt ohne Lärm mit uns ins Boot, wir fahren nach Onufrigowen, nach Hause“„Zur schönen Slonia,“ klang es höhnisch von hinten.„Laß das!“ verwies Saschul seinen Gefährten.„Und du zögere nicht, die Alten erwarten uns!“ –Schweigend saß Saschul am Steuer, Ulas vor ihm im Bereiche seiner rechten Hand, währendDmitri die zwischen den Dollen mit nassen Netzlappen umwickelten Ruder so geräuschloshandhabte, daß selbst im Kahne nichts davon zu hören war.„Wir wollen doch wenigstens meine Sachen mitnehmen. Sie liegen in der letzten Bude, undder Jan, der mit mir schläft, sitzt vorn am Feuer,“ begann jetzt Ulas, der noch immer hoffte,daß ihm irgend ein Zufall zu Hilfe kommen würde. Zwar erfolgte keine Antwort, doch hieltSaschul auf das Floßende ab, Dmitri schlich sich hinauf und brachte aus der Bude, was er inder Eile zusammengerafft.Flehend sah Ulas nach dem Feuer hinüber, um das seine Gefährten lagen und schwatzten -umsonst, das Boot blieb unbemerkt und bog jetzt pfeilschnell aus die Mitte des Sees. Weiterund immer weiter trat das dunkle Ufer zurück, schon schimmerten die Feuer von den Flößennoch kaum erkennbar herüber: es wäre der sichere Tod gewesen, jetzt herauszuspringen, unddoch wälzte Ulas unaufhörlich den Gedanken hin und her. - „Und doch, vielleicht! Und wennnicht?“ Er biß die Zähne zusammen, die Aufregung schüttelte ihn wie Fieberfrost. Endlichbezwang er sich und versuchte leise, seine Stiefel auszuziehen.5 [ Pobierz całość w formacie PDF ] |